Die Beine angezogen, mit den Armen umschlungen und das Kinn auf ihren Knien ruhend, saß Jenassa auf der Bettkante und starrte auf das schwarze Display über ihrem Schreibtisch. Das Bett war zerwühlt und unordentlich, die Cardassianerin in nicht mehr als ein ausgeleiertes Tank Top und Slip gekleidet. Ihr Haar war zerzaust und sie sah müde aus. Dennoch blieb sie wach und hielt trotzig die Augen aufgerissen. Wie ein Kind, das behauptete, die ganze Nacht aufbleiben zu können, saß sie da und wartete…
Die Gedanken an den morgigen Tag drückten bereits schwer auf ihr Gemüt. Einweisung der Wartungscrew um 05:00, Inspektion der Reparaturarbeiten im Maschinenraum um 05:30, Offiziersbesprechung um 06:00 und danach noch ein Gespräch mit Raile, das wohl keine von beiden herbeisehnte..
Es würde kein schöner Morgen werden.
Doch im Moment verschwendete die Cardassianerin keinen Gedanken daran, was morgen sein würde. Sie war auf das hier und jetzt fixiert und immer wieder ließ sie Gealas Worte Revue passieren. Worte über Bajor, Hathon, Gul Pirak… und ihren Vater. Sie wollte sie einschüchtern, das war klar und normalerweise hätte Jenassa ihre Aussagen als das leere Geschwätz abgetan, dass sie schon in der Vergangenheit bei so vielen Gelegenheiten von so vielen anderen zwielichtigen Gestalten gehört hatte. Aber heute war es anders, denn heute war ein besonderer Tag.
Jenassa war weit davon ab zu durchschauen, wie weit die Motive dieser Frau wirklich reichten. Und sie zögerte weiterhin, tiefer zu graben – Wie sie in der Vergangenheit so oft gezögert hatte. Die Cardassianerin hatte sich vorgenommen, in ihrem Rang Stärke zu zeigen, aber in der Föderation, wo man an allen Ecken auf bürokratische Hindernisse stieß, war das nicht so einfach. Statt Lösungen zu präsentieren, lud sie sich immer mehr Balast auf die Schultern ohne einen Weg zu sehen, sich davon zu befreien – und das machte sie wütend…
Wütend auf Geala mit ihrem schmierigen Grinsen, wütend auf jeden anderen respektlosen Zivilisten, der auf Deep Space 12 herumstolzierte und wertvolle Atemluft verschwendete, wütend auf ihren Vater, der ihr all das aufgebürdet hatte, wütend auf Subadmiral Mnheia, weil Sie Jenassa einmal mehr daran erinnerte – und weil sie schon dabei war, weitete sich ihre Wut auf jeden gestriegelten Vorzeigeoffizer, der es je gewagt hatte, sie über ihr eigenes Volk zu belehren, auf Crajis, die Machariel, ihre Crew, das Geschwader, das Kommando, die 18. Flotte und sowieso jeden in der ganzen vereinten Föderation der scheinheiligen Planeten aus…
Sie war zur Sternenflotte gegangen, weil sie der Heimlichtuerei und des unterschwelligen Machtgerangels überdrüssig geworden war, doch der bürokratische Apparat der Föderation stand alldem in nichts nach und sie ertappte sich immer häufiger dabei, wie sie sich nach dem System zurück sehnte, das ihr Vater in der Vergangenheit so oft beschrieben, diskutiert und akribisch analysiert hatte.
Sie war damals nur eine Randexistenz in einer Gesellschaft, die sich grade einem umfangreichen Wandel unterzog. Aber das Gespräch mit dem romulanischen Subadmiral hatte Jenassa einmal mehr vor Augen geführt, dass sie sich von diesen Wurzeln nicht so einfach lösen konnte.
In der Union hätte man einer Frau wie Ver D’Pan keine Rechte mehr zugestanden. Und weder der unterste Gil, noch die Legaten im Zentralkommando hätten einen Schritt unternommen, um sie vor Folter zu bewahren. Man hätte sie öffentlich angeklagt, verurteilt und in ein finsteres Loch geworfen, wo sie ihr langes Romulanerleben unter der Peitsche der Union fristen durfte – Wenn sie Glück hatte.
In der Union hätte niemand leichtfertig einen Stabsoffizier kidnappen und gefangen halten können. Man hätte Flotten in Bewegung gesetzt, ganze Sektoren umgegraben, Abkommen gebrochen, Leute ausgequetscht, den Täter, seine Hintermänner, ihre Familien und vermutlich auch noch ihre Freunde an eine Wand gestellt und öffentlich hinrichten lassen – Ob der vermeintliche Offizier noch am Leben gewesen sei, wäre zweitrangig. Aber jeder sollte wissen, was für Konsequenzen es hatte, wenn man sich gegen Cardassia erhebt.
Und in der Union würde die bloße Erwähnung ihres Vaters genügen und Jenassa hätte nur mit ein paar Leuten gesprochen, Geala in einen dunklen, kalten Raum zerren lassen und ihr so viele Fragen gestellt, wie es ihr beliebt hätte – Seien es fünf oder verdammt nochmal fünftausend.
So grausam dieses Regime auch gewesen sein mochte, so war ein Teil in Jenassa davon überzeugt, dass eine Frau wie Ver D’Pan nichts anderes verdient, dass eine Organisation wie Das Netz nicht anders zu behandeln sei. Und dass auf einer Raumstation der Sternenflotte kein Platz für Individuen ist, die ein Netz aus Intrigen spinnen, oder öffentlich mit Waffen handeln. Die Föderation war auf ihre alten Tage und überholten Prinzipien weich und schwach geworden – nur einer der Gründe, warum sie in den vergangenen Jahren von jeder großen Macht in der Galaxie herausgefordert wurde.
Aber durfte sich ein Commander der Sternenflotte so eine Meinung erlauben?
Die Freiheiten, die sie in der Föderation besaß, hatten sich immer wieder als trügerische Illusion entpuppt, das war ihr schon damals auf der Akademie bewusst geworden. Für eine blühende, sorgenfreie Gesellschaft war es nur allzu leicht, Völker wie das ihre zu verurteilen und gering zu schätzen. Aber welchen Weg kann eine Gesellschaft gehen, wenn die eigene Kultur unter Ressourcenmangel, Armut und Hungersnöten zerfällt? Expansion, wenn nötig, mit militärischen Mitteln, war eine Lösung, der sich die Menschheit selbst fast in ihrem gesamten Prä-Warp-Stadium immer und immer wieder bedient hatte. Jenassa war der festen Überzeugung, dass der Leitsatz der Föderation heute wohl weitaus ‚cardassianischer‘ ausgerichtet sei, wäre an einem vermeintlichen Tag kein vulkanisches Erkundungsschiff am Sol-System vorbeigeflogen.
Doch die Leute, die derartige Gedanken laut aussprachen, trugen keine Admiralsuniform oder führten das Kommando über Raumschiff…
Sie vergrub ihr Gesicht noch tiefer hinter ihren Knien, als sich die Wut in Frust umwandelte. Jenassa wusste, was es heißt, allein zu stehen, hatte aber durchaus jene in ihrem Umfeld, die sie als Freunde betrachtete. Aber das hier war eine Sache, die sie nur mit einer Person teilen wollte und noch immer wartete sie auf das vermeintliche Lebenszeichen, von dem sie wusste, dass es heute kommen würde, oder nie.
Was würde sie tun, wenn es nicht kommen würde? Ein Teil von ihr war bereit, einfach bewaffnet die Lakarian zu stürmen, Geala einen Phaser an den Schädel zu pressen und solange Besatzungsmitglieder zu töten, bis sie auspackte – wenn nötig so lange, bis ihr die Energie ausging oder Geala die Freunde…
Aber konnte sie wirklich so weit gehen? Sie hatte hart gearbeitet, um zu werden, was sie jetzt war. Würde es sich lohnen, das alles aufzugeben und wieder ins Exil zu flüchten, nur um ein Zeichen zu setzen? Die eigenen Prinzipien einfach so für einen Augenblick der Vergeltung über Bord zu werfen?
Wer sollte ihr helfen können, eine solche Entscheidung zu fällen?
Ein leises Piepen riss Jenassa aus ihren finsteren Gedanken. Ein kleines blaues Lämpchen blinkte in der unteren Ecke des Displays auf. Die Cardassianerin lehnte sich vor und aktivierte es durch eine einfache Berührung. Der Bildschirm zeigte eine neue Nachricht an.
Aus der Arawath-Kolonie… Obwohl sie sich sicher war, dass sie nur von dort weitergeleitet wurde.
Erleichterung. Die Nachricht bestand nur aus einer Hand voll Worten, aber das war bereits genug, um die finsteren Gedanken der Cardassianerin beiseite zu wischen und für den Moment wieder Ruhe in ihrem Herzen einkehren zu lassen - Ein Moment den sie nutzte, um sich in ihr Bett zurückfallen zu lassen und beinahe sofort einzuschlafen.
NACHRICHTEN-ID: A12.3972561234 | KENNZEICHNUNG: PRIVAT
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VON: ARAWATH III | ########### | VERSAND-ID: TZH-AS93518.6
AN: THAIN, JENASSA | U.S.S. MACHARIEL | 18. FLOTTE
BETREFF: -
LIEBSTE GLÜCKWÜNSCHE ZUM JAHRESTAG, MEIN KLEINER STERNENWOLF.
ENDE DER NACHRICHT