Alles was bleibt...

  • „Ensign Simons hat sich heute krank gemeldet“


    „Das ist das dritte Mal in zwei Monaten“, erwiderte die Cardassianerin und bog um die nächste Ecke. Marlow blieb ihr dicht auf den Fersen. Der Sicherheitschef der Machariel war schon sein ganzes Leben damit beschäftigt, Planeten, Stationen und Raumschiffe zu erstürmen. Von einem übereifrigen Commander ließ er sich nicht so einfach abhängen.


    „In seinem Team geht bereits das Gerücht um, dass er seine Versetzung beantragen will,“ meinte er dann. Jenassa entzog sich weiterhin jedem Blickkontakt und vermied es somit gekonnt, ihrer Antwort eine persönliche Reaktion hinzuzufügen.


    „Sagen Sie ihm, er soll sich drei Tage frei nehmen und den Counselor aufsuchen. Ich kann es mir im Moment nicht leisten, ihn zu verlieren“, erwiderte sie mit ihrem krankhaft gleichgültigem Tonfall.
    Sie erreichten das Ende des Ganges. Die Türen glitten fast geräuschlos auf und Jenassa betrat den Turbolift. James Marlow folgte ihr.


    „Brücke“, murrte die Cardassianerin und nach einem bestätigenden, dumpfen Piepen setzte sich der Lift in Bewegung. Für einen Moment herrschte Schweigen in der Kabine, nur das konstante Surren des Liftes, der in Sekundenschnelle durch das fast 800 Meter lange Schiff raste, durchbrach die peinliche Stille. Schließlich griff Marlow das Gespräch wieder auf.


    „Simons ist nicht der einzige. Viele Besatzungsmitglieder zeigen Frust und Ermüdungserscheinungen. Nicht nur die Mitglieder der Sicherheit. Selbst die Führungsoffiziere sind betroffen.“ Jenassa warf ihrem Sicherheitschef einen vorwurfsvollen Blick zu, dem der Lieutenant jedoch gekonnt standhielt.


    „Ich werde dafür sorgen, dass die Crew nach dieser Mission ein paar Tage Freigang erhält, versprochen.“


    „Freigang“, wiederholte James belustigt. „Freigang wo? Auf Deep Space 12, wo Leute erschossen und Bomben gezündet werden? Wo Admirale verschwinden oder Selbstmordmissionen anzetteln? Wo mysteriöse Schatten durch die Gänge streifen…“


    „Sie gehen zu weit, Lieutenant“, unterbrach Jenassa ihn.


    „Aber Sie wissen, dass ich recht habe“, erwiderte Marlow. „Deep Space 12 ist zurzeit nicht grade ein Ort, den man aufsucht, um sich zu erholen. Diese Mannschaft braucht Urlaub. Richtigen Urlaub.“


    Der Cardassianerin entglitt ein Seufzen. „Ich weiß“ und sie strich sich resigniert über die Stirnwulste. „Ich werde mit dem Admiral reden, sobald diese Sache abgeschlossen ist. Aber jetzt brauche ich die Crew in Bestform und egal wie widrig die Umstände waren, Captain Crajis wurde noch nie von ihr enttäuscht.“


    „Bei allem Respekt, Commander“, und der Sicherheitsschef klang nun auffällig distanziert „Aber Sie sind nicht Crajis.“ Damit wandte Marlow sich ab und trat aus dem Turbolift hinaus auf die Brücke. Die Cardassianerin zögerte einen Moment und atmete tief durch, dann folgte sie ihm.

  • „Komplett überholt!“, brüllte Jaruut und fegte einen Stapel PADDs vom Tisch. Eines flog gegen die Wand des Maschineraums und zersprang scheppernd in seine Einzelteile.


    „Sie war komplett überholt! Besser als je zuvor! Und jetzt? Drei Stunden im All und sie ist wieder Schrott! Wenn ich diese grünblütigen baktag in die Finger kriege, drehe ich jedem Einzelnen von ihnen seinen dreckigen Hals um!“, fauchte der Klingone weiter und verlieh seiner Rage Nachdruck, indem er dem massiven Tisch einen so kräftigen Tritt verpasste, dass dieser sich aus seiner Verankerung löste und krachend umfiel. Die Anzeigen auf der Oberfläche knisterten und erloschen kurz darauf. Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte, denn die Hälfte von ihnen war ohnehin bereits durchgebrannt.
    Niemand im Maschinenraum sprach ein Wort. Auch Jenassa hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass es klüger war, Jaruut einfach gewähren zu lassen, wenn sein klingonisches Blut mal wieder mit ihm durchging. In diesem Fall half es nur abzuwarten, bis der Chefingenieur sich wieder beruhigt hatte und solange alle zerbrechlichen Gegenstände aus seinem Einflussbereich zu entfernen – Es sei denn, man hatte zufällig grade ein Betäubungsgewehr für ausgewachsene Targs zur Hand.


    Alle Muskeln bis zum Zerreißen gespannt und mit geballten Fäusten, starrte der Klingone schnaubend auf den demolierten Tisch, der wie ein erlegtes Tier zu seinen Füßen lag. Das Funkeln in seinen Augen strahlte eine tiefe Sehnsucht aus – die Sehnsucht, jene dort liegen zu sehen, die für dieses Massaker verantwortlich waren. Jaruut gehörte zu der Art Klingonen, deren Konzept von Ehre sich auch über das Töten von Feinden hinaus erstreckte. Es war das gleiche Konzept, mit denen die Ingenieure des Klingonischen Reiches die gewaltigen Kriegsmaschinen am Laufen hielten, die sich unaufhaltsam durch die blutigsten Schlachten des Universums pflügten und weder Feind, Maschine oder die Kälte des Alls fürchteten. Entsprechend zornig wurde Jaruut, wenn es jemand wagte, die Machariel anzugreifen und jeden Schuss auf ‚sein‘ Schiff nahm er ganz persönlich.
    Langsam klang das Schnauben ab und es herrschte eine unheimliche Stille im Maschinenraum, die nicht einmal das Surren des Warpkerns zu durchbrechen wagte. Schließlich hob Jaruut den Kopf und fixierte nun Jenassa.


    „Sind Sie fertig, Lieutenant?“ sprach die Cardassianerin leise, aber bestimmend. Jaruut erwiderte erneut ein Funkeln, wobei er mit unheimlich ruhiger Stimme sprach.


    „Nein, Commander. Ich fange grade erst an. Und wenn ich fertig bin, werden diese romulanischen Hunde den Tag verfluchen, an dem sie aus den Leibern ihrer Mütter gekrochen sind.“
    Der Klingone war nun an Jenassa herangetreten und hatte sich zu seiner vollen, imposanten Größe aufgebaut, die muskulösen Arme dabei vor der Brust verschränkt. Mehr als einmal hatte die Cardassianerin Zweifel, wie ein grobschlächtiger Mann wie Jaruut den Posten des leitenden Ingenieurs auf einem Föderationsschiff erreichen konnte. Aber je mehr Zeit sie sich genommen hatte, den Klingonen kennen zu lernen, desto mehr hatte sie seine anderen Charakterzüge zu schätzen gelernt.


    Jaruuts Wutausbrüche waren intensiv, aber vereinzelt. Wie man erwarten konnte, hatte sein klingonisches Blut ihm schon den einen oder anderen Vermerk in seiner Akte eingebracht. Er neigte zum ausrausten, wenn er mit Situationen konfrontiert wurde, die er nicht kontrollieren konnte – Etwa wenn sein Schiff massiv beschossen wurde und alles was er tun konnte, lediglich in Schadensbegrenzung resultierte. Es war dann nur eine Frage der Zeit, bis er seinem angestauten Frust Luft machte und nicht immer schaffte er es dazu auf das Holodeck. Im Gefecht selbst lief er jedoch zu Höchstformen auf und kannte das Schiff wie ein Musiker sein Instrument. Und im Alltag hatte Jenassa selten einen Mann kennen gelernt, der sich seiner Profession mit einer derartigen Leidenschaft und Disziplin hingab. Das waren die Seiten an Jaruut, die sie mochte, und zu denen sie sich sogar heimlich hingezogen fühlte. Inständig wünsche sie sich, dass dieser Mann jetzt vor ihr stehen würde und nicht die zwei Meter große, fleischgewordene Inkarnation von Zorn und Hass, bei der Sie all ihren Mut zusammen nehmen musste, die Kraft ihrer Stimme zu erhalten, während sie förmlich spürte, wie sie jede Sekunde ein wenig tiefer im Boden versank.


    „Wenn Sie das wirklich wollen, packen Sie ihren Zorn ein und konzentrieren sie sich darauf, das Schiff schnellstmöglich wieder gefechtsbereit zu machen. Dann haben wir vielleicht die Chance, eines Tages das Gericht der Rache zu servieren“, sprach sie entschlossen. Jaruut blickte weiter auf sie herab. Es war unmöglich aus seiner Mimik abzulesen, ob er die Cardassianerin überhaupt gehört hatte. Erneut herrschte Stille im Raum, während die beiden Offiziere sich gegenseitig musterten.


    „Drei Wochen“, meinte der Klingone schließlich. „Allerdings sind noch nicht alle Schäden erfasst.“
    Zögerlich nickte die Cardasianerin.


    „Stellen Sie bis heute Abend 18:00 Uhr eine vollständige Liste zusammen und melden Sie sich dann bei mir auf der Brücke“, erwiderte sie. Mit Mühe gelang es ihr, die ohnehin offensichtliche Erleichterung nicht in ihre Stimme mit einfließen zu lassen.


    „Natürlich, Commander“, antwortete der Klingone, wobei er den Befehl träge mit seinem massigen Schädel abnickte. „Sonst noch etwas?“


    „Nein.“ Die Cardassianerin schüttelte den Kopf. „Machen Sie sich an die Arbeit. Das Kommunikationssystem hat weiterhin oberste Priorität.“ Damit wandte sie sich ab und auch Jaruut drehte sich um, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren.


    Kaum war Jenassa um die nächste Ecke gebogen, stütze sie sich an die Wand – eine unwillkürliche Reaktion, denn für einen Moment fürchtete sie, ihre Beine würden sie im Stich lassen. Schon den ganzen Morgen plagten die Cardassianerin Kopfschmerzen von all den Dingen, die durch ihren Geist huschten und im Moment würde Sie alles dafür geben, diesen Tag einfach abzuharken und sich in ihr Bett zu verkriechen. Aber das konnte sie nicht. Sie hatte das Kommando und ihre Mannschaft erwartete, dass Jenassa sie durch diese Krise führen würde, so wie Captain Crajis es getan hätte.
    Crajis… In den letzten Stunden hatte sich Jenassas Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Schiff zu kommandieren, grundlegend gewandelt und sie sah dieses Amt nun in einem vollkommen anderen Licht. Die OPS hatte immer eine gewisse Distanz garantiert. Der Captain gab einen Befehl, die sorgte dafür, dass er die richtigen Leute erreichte. Aber jetzt, da dieser Zwischenschritt eliminiert war, bildete sie das letzte und oberste Glied dieser gut funktionierenden Kette. Die Konsequenzen aller Befehle die sie gab, jeder Entscheidung die sie traf, wurden auf sie zurückgeworfen und nach der letzten Nacht fühlte sie sich, als hätte man sie entblößt in einer dunklen, feuchten Gasse abgeladen, nachdem sich jemand einen Spaß daraus gemacht hatte, immer und immer wieder mit einem Knüppel auf sie einzuschlagen.


    Mit nur einem Schlag hatte der Stuhl des Captain für sie alle Vorstellungen von Romantik verloren. Sie fühlte, wie ihr das Schiff, das ihr so vertraut war, langsam entglitt und zurück blieb das kleine Mädchen, das mitten in der Nacht aus ihrem Bett gezogen und durch die Gassen von Culat gehetzt wurde, ohne zu wissen, was mit ihm geschehen mochte.


    Langsam bewegte sie sich vorwärts. Und jedem Schritt kehrte die Kraft in ihre Beine zurück. Die Gassen der cardassianischen Stadt lösten sich auf und verwandelten sich wieder in die tristen, sterilen Gänge des Maschinendecks. Als sie den Turbolift betrat, hielt sie einen Moment inne, um neue Kraft zu sammeln. Sie musste das jetzt durchstehen, wenngleich sich ihre Eingeweide bereits wieder verknoteten, als ihr gewahr wurde, dass die Inspektion des Maschinenraums noch der angenehmste Termin an diesem Tag sein würde.


    „Krankenstation“